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52. Erlanger Kolloquium: Verbessertes Verstehen im sozialen Kontext

Ende Februar 2025 fand das renommierte und durchaus traditionsreiche Erlanger Kolloquium in der namensgebenden fränkischen Universitätsstadt statt. Veranstaltet, gehostet wie man neudeutsch auch gerne sagt, wird der Austausch von WS Audiology. Das Format ist bekannt für den wissenschaftlichen und anspruchsvollen Austausch, bei dem Forschende zusammenkommen, um ihre aktuellen Arbeiten und Forschungsergebnisse zu präsentieren und gemeinsam zu diskutieren. Das diesjährige Schwerpunktthema: “Enhanced listening in social contexts”.

© WS Audiology

Erlanger Kolloquium – Austausch mit Tradition

Dirk Junius, Global Head Sound & Audiology Signia bei WS Audiology, verantwortet die Audiologische Plattform- und Produktentwicklung an den Standorten Erlangen und Singapur beim Hörgerätehersteller und ist in dieser Rolle aktuell der Organisator der Veranstaltung, gemeinsam mit seiner Mitarbeiterin Maria Schmitt. Zur Historie des Kolloquiums erzählt er: “1973 fand das erste Erlanger Kolloquium statt, damals noch unter der Siemens AG. Seither ist es erst ein einziges Mal ausgefallen, nämlich 1976.”

Am 21. und 22. Februar war es dann wieder soweit: 130 Teilnehmer reisten nach Erlangen, um sich den Arbeiten rund um “Enhanced listening in social contexts” zu widmen. Sehr gut gewählt, denn das Verstehen unterliegt schließlich sehr vielen Aspekten, Parametern und Dynamiken, vor allem bei Gruppengesprächen, wie man auch an den präsentierten Arbeiten sehen konnte. Darüber hinaus wurden noch weitere Themenbereiche vorgestellt und diskutiert (siehe Liste der Referenten).

Dirk Junius (links im Bild) begrüßt mit ORCA Labs Leiter Filip Rønne die Gäste.

Das Erlanger Kolloquium hat sich zunehmend international ausgerichtet, bleibt aber ein Forum mit starkem europäischem Schwerpunkt. Während die viele Teilnehmenden aus Deutschland stammen, waren dieses Jahr zudem Forschende aus Dänemark und Großbritannien stark vertreten – Länder, in denen klassisch viel audiologisch geforscht wird. Zudem trugen bereits Keynote-Speaker aus den USA und Australien zur Veranstaltung bei, was die fortschreitende Internationalisierung unterstreicht.

Durch die Veranstaltung führten Dirk Junius und Filip Rønne. Er leitet das ORCA Labs, das wissenschaftliche Institut von WS Audiology.

Dirk Junius: „Mit dem diesjährigen Thema ‘Enhanced Listening in Social Contexts’ brachte unser Kolloquium führende Expertinnen und Experten zusammen, um neueste Forschungsergebnisse zu diskutieren und den wissenschaftlichen Austausch zu fördern. Gemeinsam setzen wir Impulse für die Weiterentwicklung der Hörforschung und zukünftige Innovationen. Wissenschaft lebt vom Dialog – und genau diesen möchten wir mit dieser Veranstaltung intensivieren.“

Neue Perspektiven auf Gesprächsdynamiken und Hörerschwernisse

Eröffnet wurde die Veranstaltung mit Vorträgen zur Analyse von Gesprächsdynamiken und den Auswirkungen von Hörbeeinträchtigungen auf Kommunikation. William M. Whitmer aus Glasgow hinterfragte gängige Modelle der Gesprächsstruktur und wies auf die Mehrdimensionalität von Gesprächsübergängen hin. Lena-Marie Huttner aus Dänemark stellte eine Studie vor, die belegt, dass Konversationsverhalten die subjektiv wahrgenommene Kommunikationserschwernis in lauten Umgebungen beeinflusst.

Der Erlanger Redoutensaal aus dem Jahr 1750 war Location für das Erlanger Kolloquium

Ein Highlight war die Keynote von Lauren V. Hadley von der University of Nottingham. Sie untersuchte in ihrer Keynote, wie kognitive Prozesse das Hörverhalten in Gesprächen beeinflussen und warum typische Sprachtests oft nicht die komplexen Anforderungen realer Kommunikation erfassen. Sie zeigte, dass Faktoren wie multimodale Hinweise, Gesprächsstrategien und individuelle Definitionen von Erfolg eine entscheidende Rolle spielen. Zudem diskutierte sie, wie gezielte kognitive Unterstützung und neue Messmethoden helfen können, das Zuhören in sozialen Kontexten zu verbessern.

Hören in natürlichen Umgebungen und neue Messansätze

Der zweite Konferenztag bot weitere wissenschaftliche Erkenntnisse zur Hörverarbeitung in natürlichen Umgebungen. Christian Lorenzi aus Paris hielt eine Keynote zur Rolle des Gehörs bei der Wahrnehmung von Klanglandschaften und deren Bedeutung für das menschliche Orientierungsvermögen. Weitere Vorträge widmeten sich der Frage, inwiefern moderne Hörgeräte mit amplitudenkomprimierten Sprachsignalen die neuronale Sprachverarbeitung beeinflussen und ob physiologische Marker wie Herzfrequenz und Muskelaktivität um das Ohr Hinweise auf Höranstrengung liefern können. Die Veranstaltung bot damit einen fundierten Einblick in aktuelle Entwicklungen der Audiologie und deren Bedeutung für Menschen mit Hörbeeinträchtigungen.

Fortschritte in der audiologischen Forschung und neue Impulse für die Praxis

Das 52. Erlanger Kolloquium zeigte eindrucksvoll, wie vielfältig die aktuellen Forschungsansätze in der Audiologie sind. Von der Analyse von Gesprächsdynamiken über die kognitive Verarbeitung von Sprache bis hin zur Hörwahrnehmung in natürlichen Umgebungen – die Vorträge verdeutlichten, dass die Forschung zunehmend interdisziplinär arbeitet und sowohl technische als auch neurologische Aspekte berücksichtigt.

Besonders hervorgehoben wurden die Bedeutung individueller Hörstrategien und die Rolle moderner Hörgeräte bei der Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit. Zudem liefern neue Messmethoden, wie die Analyse von Muskelaktivität um das Ohr oder Herzfrequenzveränderungen, wertvolle Erkenntnisse zur Höranstrengung. Die Ergebnisse der Tagung bieten somit nicht nur wichtige Impulse für die wissenschaftliche Forschung, sondern auch für die Weiterentwicklung audiologischer Technologien und die Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit Hörbeeinträchtigungen.

Am ersten Tag des 52. Erlanger Kolloquiums referierten:

  • William M. Whitmer (Glasgow, UK): Untersuchte die Mehrdimensionalität von Gesprächsübergängen und stellte gängige Modelle zur Analyse von Gesprächsstrukturen infrage.
  • Lena-Marie Huttner (Snekkersten, DK): Präsentierte eine Studie, die zeigt, dass Konversationsverhalten die subjektiv wahrgenommene Kommunikationserschwernis in lauten Umgebungen beeinflusst.
  • Raluca Nicoras (Glasgow, UK): Untersuchte den Erfolg und die Dynamik von Mehrparteiengesprächen unter Einfluss von Hörstatus und Hörgeräteversorgung.
  • Jan Heeren (Oldenburg, DE): Verglich rezeptfreie (OTC) und verschreibungspflichtige Hörgeräte hinsichtlich Nutzerpräferenzen und subjektiver Erfahrungen.
  • Hendrik Husstedt (Lübeck, DE): Analysierte Unterschiede im Höraufwand zwischen ruhigen und geräuschvollen Umgebungen.
  • Mohamed Elminshawi (Erlangen, DE): Entwickelte ein ressourcenschonendes neuronales Netzwerk für die Sprachverarbeitung auf leistungsschwachen Geräten.
  • Borgný Súsonnudóttir (Odense, DK): Untersuchte Präferenzen für die Signalverzögerung in offenen Hörgeräteanpassungen.
  • Sebastian Roth (Offenburg, DE): Analysierte die Auswirkungen von Signalverzögerungen auf Sprachverständlichkeit und Klanglokalisierung bei einseitiger Hörgeräteversorgung.

Am zweiten Tag präsentierten:

  • Christian Lorenzi (Paris, FR): Thematisierte in seiner Keynote die Wahrnehmung natürlicher Klanglandschaften und deren Bedeutung für die menschliche Orientierung.
  • Klaudia Edinger Andersson (Odense, DK): Untersuchte, wie akustische Faktoren, Herzfrequenz und Hörintention die Motivation von Hörgeräteträgern im Alltag beeinflussen.
  • Martin Orf (Lübeck, DE): Analysierte, ob Amplitudenkompression die neuronale Verarbeitung von Sprache erleichtert oder behindert.
  • Andreas Schroeer (Homburg/Saar, DE): Präsentierte Forschung zu EMG-Signalen der Ohrmuskulatur als Indikatoren für Höranstrengung und auditive Aufmerksamkeit.
  • Michal Fereczkowski (Odense, DK): Untersuchte, warum die Sprachverständlichkeit bei normalhörenden Personen bei hohen Lautstärken abnimmt und ob neuronale Faktoren eine Rolle spielen.

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