Die Akzeptanz und Nutzung von Hörgeräten bei Erwachsenen mit Hörverlust ist nach wie vor eine der größten Herausforderungen. Sie sind erfahrungsgemäß so vielseitig und individuell wie die Hörminderung selbst. Eine systematische Übersichtsarbeit von Knoetze et al. (2023) beleuchtete die Faktoren, die die Bereitschaft für eine Versorgung durch Hörakustiker bzw. Audiologen und die Nutzung von Hörgeräten beeinflussen – sowohl aus audiologischer als auch aus nicht-audiologischer Perspektive.
Die Retrospektive auf 10 Jahre Forschung
Die Nutzung von Hörgeräten bleibt weltweit hinter den Möglichkeiten zurück, obwohl ein unversorgter Hörverlust erhebliche Auswirkungen auf Lebensqualität und Gesundheit hat. Richtungsweisende Entscheidungen finden bereits vor der eigentlichen Versorgung statt. Die systematische Übersichtsarbeit von Knoetze et al. (2023) untersucht die letzten zehn Jahre Forschung zu audiologischen und nicht-audiologischen Faktoren, die das Verhalten Erwachsener mit Hörverlust beeinflussen.
Audiologische Faktoren: Warum entscheiden sich Menschen für Hörgeräte?
Die Studie hebt drei zentrale audiologische Faktoren hervor, die sich auf die Akzeptanz und Nutzung von Hörgeräten auswirken:
- Grad der Hörminderung
Der Klassiker: Je höher der Leidensdruck, umso höher die Bereitschaft zu Handeln. Ein stärker ausgeprägter Hörverlust, gemessen an audiometrischen Tests, erhöht die Wahrscheinlichkeit der Hörgeräteakzeptanz. Insbesondere bei binauralem Hörverlust zeigt sich eine positive Korrelation zur Nutzung. - Selbstwahrnehmung des Hörproblems
Menschen, die ihre Höreinschränkung selbst als erheblich wahrnehmen oder Kommunikationsschwierigkeiten im Alltag erfahren, sind eher bereit, Hilfe zu suchen und Hörgeräte zu tragen. Intrinsisch motivierte Schwerhörige also zeichnen sich durch eine aktive Teilnahme am Versorgungsprozess aus. - Erwartungen an Hörgeräte
Positive Erwartungen an die Vorteile von Hörgeräten, wie verbesserte Kommunikation und Lebensqualität, fördern die Akzeptanz. Studien zeigen, dass Personen, die bereits länger über eine Hörgeräteversorgung nachdenken, näher am Anpassungsprozess sind und konkrete Erwartungen haben. Sie haben bereits umfangreich recherchiert. In der Praxis gilt es, diese Erwartungen zu erfassen und zu klassifizieren.
Nicht-audiologische Faktoren: Soziale und psychologische Einflüsse
Neben diesen rein audiologischen Aspekten spielen auch nicht-audiologische Faktoren eine entscheidende Rolle, die vor allem gesellschaftlicher Natur sind.
- Soziale Unterstützung und Druck
Unterstützung durch Angehörige und Freunde, aber auch sozialer Druck, kann die Entscheidung zur Hörgeräteversorgung positiv beeinflussen. Besonders ältere Erwachsene profitieren von der Einbindung ihres sozialen Umfelds. Diese extrinsischen Faktoren können im Verlauf die intrinsische Motivation fördern. - Stigmatisierung und Selbstbild
Stigmatisierung bleibt eine Barriere, insbesondere bei jüngeren Erwachsenen. Umgekehrt zeigen Personen mit einer hohen Akzeptanz ihres Hörverlusts und einem positiven Selbstbild eine höhere Wahrscheinlichkeit, Hörgeräte zu nutzen. - Finanzielle Ressourcen und Zugang
Studien belegen, dass finanzielle Unterstützung, wie in Deutschland die Zuschüsse der Krankenkassen, einen großen Einfluss auf die Entscheidung zur Hörgeräteakzeptanz hat. Menschen in urbanen Gebieten, mit besseren finanziellen Ressourcen und Zugang zu Dienstleistungen, sind im Vorteil.
Methode: Ein systematischer Überblick
Die Studie folgt den strengen Richtlinien der PRISMA-Protokolle, um eine umfassende Analyse von 42 Studien aus den Jahren 2011 bis 2022 zu gewährleisten. Die Autoren durchsuchten elektronische Datenbanken wie CINAHL, PsycINFO und MEDLINE mit einer Vielzahl von Schlagwörtern rund um Hörverlust, Hörgeräteakzeptanz und Hilfe-Suche. Berücksichtigt wurden nur Studien mit Erwachsenen (ab 18 Jahren) und einem Fokus auf Hörgeräteakzeptanz oder der Suche nach audiologischer Hilfe. Qualitative Studien sowie Studien zu anderen Hörtechnologien wie Cochlea-Implantaten wurden hingegen ausgeschlossen. Aufgrund der Heterogenität der Studien entschied man sich für eine Synthese ohne Metaanalyse. Die Ergebnisse wurden nach audiologischen und nicht-audiologischen Faktoren kategorisiert und systematisch zusammengefasst
Am Ende jeder Studie, wie auch dieser, zeigt sich Handlungsbedarf für allem an der Hörgeräteversorgung Beteiligten: Aufklärung und die Schaffung eines unterstützenden Umfelds können helfen, Barrieren abzubauen. Gleichzeitig zeigt die wachsende Bedeutung digitaler Technologien wie Tele-Audiologie und KI-gestützter Anpassung, dass innovative Lösungen künftig eine wichtige Rolle für eine erwartungsgerechte Anpassung spielen werden, die den heterogen Lebensumständen gerecht wird. Und, nach wie vor, ist die Versorgungsqualität maßgeblich von den finanziellen Möglichkeiten abhängig.
Quelle: Knoetze et al., 2023. „Factors Influencing Hearing Help-Seeking and Hearing Aid Uptake in Adults: A Systematic Review of the Past Decade“.