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Amazon Optics: Kann der Online-Goliath die Optikbranche herausfordern?

Mit „Amazon Optics“ betritt der E-Commerce-Gigant den Markt für Korrektionsbrillen und tritt damit in direkte Konkurrenz zu traditionellen Optikern und etablierten Online-Anbietern wie Mister Spex. Die Bequemlichkeit des Online-Kaufs und erwartbare, geringere Preise mögen für viele Verbraucher verlockend sein, doch natürlich stellt sich damit wie bei allen Gesundheitsversorgungen die Frage, ob ein Online-Anbieter den notwendigen Ansprüchen an Qualität, Service und augenoptischer Fachkompetenz überhaupt gerecht werden kann. Wem kommt diese Debatte bekannt vor? Auch Brillen sind medizinische Hilfsmittel, die Anamnesen, fachgerechte Anpassungen und Kontrollen erfordern – im Sinne des Gesetzgebers und vor allem des Patientenwohls. Eines ist jetzt schon klar: ein hybrides Geschäftsmodell mit eigenen Fachgeschäften oder Partner-Betrieben wie bei Mister Spex wird es wohl bei Amazon eher nicht geben. Preisdiskussionen im Fachhandel sowie teils verwirrte und verärgerte Kunden hingehen schon.

Amazon Optics

„Wir wissen, dass über 40 Millionen Menschen in Deutschland bereits Brillen tragen oder tragen sollten, um ihre Sehkraft zu verbessern. Der Kauf einer Brille kann jedoch ein sehr kompliziertes und mühsames Unterfangen sein“, sagt Rocco Bräuniger, Country Manager Amazon.de. So far so good.

Amazon setzt auf den Brillenverkauf – ein Gamechanger?

Mit einem Sortiment von über 1.000 Fassungen namhafter Marken wie Rodenstock, Adidas und Tommy Hilfiger öffnet Amazon eine neue Tür für Brillenkunden. Käufer geben ihre Refraktionswerte online ein, bestellen ihre Brille bequem von zu Hause und erhalten sie innerhalb weniger Tage.

Was auf den ersten Blick als praktische Lösung erscheint, birgt jedoch Herausforderungen. Denn die Augenoptik ist mehr als nur der Verkauf von Brillengestellen mit Gläsern. Schon andere Online-Brillenhändler wie Mister Spex oder Brillen.de mussten lernen, dass eine rein digitale Lösung schnell an ihre Grenzen stößt. Deshalb setzten sie auch auf hybride Modelle – eine Kombination aus Online-Bestellung und professioneller Anpassung im stationären Handel. Und sie stellten beispielsweise Online-Sehtests und durchdachte Tryout-Angebote für Fassungen auf die Beine. Der Verbraucher selbst sollte so befähigt werden.

Ohne Fachberatung geht es nicht

Ein wesentlicher Nachteil des Brillenkaufs im Internet ohne die Anpassung durch Augenoptikermeister oder Optometristen, wie ihn die Arbeits- und Qualitätsrichtlinien für Augenoptik und Optometrie des Zentralverbandes der Augenoptiker und Optometristen (ZVA) vorsieht, ist eben das Fehlen einer fachgerechten Beratung. Die optimale Anpassung einer Brille betrifft nicht nur das Design, sondern ist entscheidend für den Sehkomfort, die Passform und die langfristige Augengesundheit. Ein Optiker ermittelt präzise Sehwerte – einschließlich Visus-, Refraktions- und Binokularbestimmung – und berücksichtigt dabei essenzielle Faktoren wie die exakte Zentrierung der Gläser, den individuellen Sitz der Brille sowie mögliche Sehfehler wie Winkelfehlsichtigkeiten. Darüber hinaus fließen persönliche Lebensumstände, etwa die berufliche Tätigkeit oder Freizeitgewohnheiten, in die Anmanese ein. Diese umfassende Anpassung lässt sich nicht durch die bloße Eingabe von Sehwerten im Online-Kaufprozess ersetzen.

Während spezialisierte Online-Anbieter wie Mister Spex zumindest digitale Sehtests oder Beratungen, ob nun telefonisch oder in den eigenen oder Partnerfachgeschäften, anbieten, setzt Amazon allein auf die manuelle Eingabe durch den Kunden. Ein riskanter Ansatz, denn falsche Werte führen zu möglichen Folgen wie Kopfschmerzen oder Sehproblemen. Wer mal eine Brille mit alten, anderen Glaswerten aufsetzt, kennt das sicher!

Qualitätsstandards und Retouren: Kundenfreundlich oder kompliziert?

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist die Qualität der Brillengläser und deren Verarbeitung. Hochwertige Gläser benötigen eine präzise Anpassung, um optimal zu funktionieren – ein Aspekt, der durch automatisierte Fertigungsprozesse nicht immer sichergestellt werden kann.

Zudem bleibt fraglich, wie kundenfreundlich Amazons Rückgabepolitik in diesem Segment ausfällt. Während niedergelassene Augenoptiker oft kostenfreie Anpassungen oder Korrekturen anbieten, könnte der Rückgabeprozess über Amazon zeitaufwändig und umständlich sein. Wer eine fehlerhafte Brille erhält, muss sie zurückschicken, auf eine neue Lieferung warten und möglicherweise mehrere Tage auf eine passende Sehhilfe verzichten. Im Fachgeschäft kann eine Korrektur hingegen oft sofort oder binnen eines Tages erfolgen.

Ein Markt im Wandel – doch zu welchem Preis?

Amazon Optics könnte für preissensible und internetaffine Kunden eine verlockende Alternative sein. Doch aus fachlicher Sicht überwiegen die Nachteile. Das Thema kennen wir gut aus der Hörakustik. Zudem gibt es rechtliche Fragestellungen, die sich aus der EU-Medizinprodukteverordnung, kurz MDR, aus Richtlinien der Verbände und Krankenkassen und der HwO ergeben. Ohne professionelle Unterstützung drohen Fehldiagnosen, falsche Sehkorrekturen und langfristig sogar teil gesundheitliche Folgen. Ob Amazon sein Konzept weiterentwickelt, die Fachkompetenz integriert, etwa durch Kooperationen mit Optikern, oder innovative KI-gestützte Lösungen in petto hat, oder einfach den Fokus auf den Massenmarkt legt, wird sich zeigen.