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Gen-Therapie gegen Taubheit: Der aktuelle Stand der Forschung

Tobias Moser ist Professor für Auditorische Neurowissenschaften an der Georg-August-Universität in Göttingen. Dort beschäftigt er sich mit der Physiologie und Anatomie von Haarzellensynapsen sowie der Entwicklung optogenetischer Techniken für Cochlea-Implantate. Im letzten Jahr veröffentlichte er ein Paper, das den aktuellen Stand der Forschung zusammenfasst. Immerhin sind mehr als 50 % der sensorineuralen Hörstörungen genetisch bedingt. Eine Therapie für diese Art des Hörverlustes gibt es bisher nicht. An solchen wird allerdings weltweit intensiv geforscht. Und erste klinische Studien zur Gen-Therapie bei otoferlinbedingter synaptischer Taubheit zeigen vielversprechende Ergebnisse (Moser et al., 2024).

© Han Chen, Barbara Vona

Warum sind aktuelle Behandlungsmethoden begrenzt?

Bisher ist die wirksamste Behandlung für hochgradige Hörstörungen das Cochlea-Implantat. Dieses Gerät umgeht die defekten Haarzellen im Innenohr und stimuliert den Hörnerv elektrisch. Allerdings hat diese Technologie ihre Grenzen, insbesondere beim Verstehen von Sprache in geräuschvollen Umgebungen. Daher besteht ein erheblicher medizinischer Bedarf an neuen, effizienteren Lösungen zur Wiederherstellung des Hörens (Wolf et al., 2022).

Wie funktioniert die Gen-Therapie bei Hörstörungen?

Die Gen-Therapie zielt darauf ab, defekte oder fehlende Gene durch eine funktionierende Kopie zu ersetzen. Im Falle der otoferlinbedingten Hörstörung ist das OTOF-Gen betroffen. Dieses Gen kodiert für das Protein Otoferlin, das eine entscheidende Rolle bei der Signalweiterleitung von den Haarzellen zum Hörnerv spielt. Ohne dieses Protein können Schallreize nicht richtig übertragen werden (Moser & Starr, 2016).

Prof. Dr. Tobias Moser
© Georg-August-Universität Göttingen

In den ersten klinischen Studien wurde ein Adeno-assoziierter Virus (AAV) als Vektor verwendet, um das intakte OTOF-Gen in die Haarzellen der Cochlea einzubringen. Diese Methode zeigt vielversprechende Ergebnisse: In ersten Versuchen mit Kindern verbesserten sich die Hörschwellen von nicht messbar auf nahezu normales Niveau (ca. 30 dB Hörschwelle) (Qi et al., 2024; Lv et al., 2024).

Herausforderungen der Gen-Therapie bei Schwerhörigkeit

Die Entwicklung einer wirksamen Gen-Therapie für otoferlinbedingte Hörstörungen stellt Forscher vor mehrere Herausforderungen. Eine der größten Schwierigkeiten ist die Größe des OTOF-Gens, das die Kapazität herkömmlicher viraler Vektoren, insbesondere der weit verbreiteten Adeno-assoziierten Viren (AAV), überschreitet. Um dieses Problem zu lösen, werden duale oder überladene AAV-Systeme erforscht, die jedoch bislang nur eine teilweise Wiederherstellung der Hörfunktion ermöglicht haben.

Zudem ist eine präzise und ausreichende Expression von Otoferlin erforderlich, da das Protein eine zentrale Rolle in der schnellen und präzisen Signalübertragung an den Synapsen der Haarzellen spielt. Eine unzureichende Proteinproduktion könnte dazu führen, dass die wiederhergestellte Hörfunktion nicht ausreicht, um Sprache in komplexen akustischen Umgebungen zuverlässig zu verstehen.

Ein weiteres Problem stellt die sichere Verabreichung der Therapie dar. Die Cochlea ist ein äußerst empfindliches Organ, und das Einbringen des genetischen Materials darf keine zusätzlichen Schäden verursachen. Die optimale Dosierung und Applikationstechnik sind daher entscheidende Faktoren für den langfristigen Erfolg der Therapie.

Darüber hinaus bestehen Unsicherheiten hinsichtlich der Langzeitstabilität der Behandlung. Es ist noch unklar, ob die genbasierte Korrektur dauerhaft erhalten bleibt oder ob im Laufe der Zeit eine erneute Therapie erforderlich ist. Erste Studien deuten darauf hin, dass behandelte Patienten über mehrere Monate hinweg eine deutliche Verbesserung des Hörvermögens zeigen, doch Langzeitstudien fehlen bislang.

Schließlich müssen Forscher herausfinden, welche Patienten am besten auf die Therapie ansprechen. Erste klinische Studien zeigen vielversprechende Ergebnisse, allerdings gab es auch Fälle, in denen Patienten nicht wie erwartet reagierten. Offene Fragen betreffen auch die Behandlung beider Ohren, die Immunreaktion des Körpers auf die Gentherapie sowie mögliche individuelle Unterschiede in der optimalen Dosierung.

Erläuterungen zum Bild:
Links: Eine vereinfachte Zeichnung zeigt, wie die Gentherapie (ein Virus namens AAV, der die Bauanleitung für das OTOF-Gen enthält) ins Innenohr gelangt. Das Innenohr besteht aus der schneckenförmigen Cochlea (fürs Hören) und dem Gleichgewichtsorgan.
Mitte: Ein 3D-Bild der Maus-Cochlea, aufgenommen mit einer speziellen Mikroskop-Technik. Die Bild zeigt die Virus-Teilchen (die in Wirklichkeit viel kleiner sind).
Rechts: Eine vereinfachte Zeichnung der Zielzelle: die innere Haarzelle. Diese Zelle nutzt spezielle Verbindungen (Ribbon-Synapsen), um Informationen über Geräusche an den Hörnerv weiterzuleiten. Das Protein Otoferlin ist dafür sehr wichtig: Es hilft der Zelle, diese Informationen freizusetzen, wenn sie durch Kalzium aktiviert wird.

Die aktuellen Studienergebnisse sind durchaus Meilensteine auf dem Weg zur Heilung genetisch bedingter Hörstörungen. Besonders ermutigend: die Behandlung ist offenbar nicht nur sicher, sondern auch effizient. Und wer weiß: Sollte sich die Therapie weiterhin als stabil und effektiv erweisen, könnte sie das Leben von Millionen Menschen weltweit revolutionieren.

Quellen:

  • Moser et al. (2024), “Gene therapy for deafness: are we there now?”
  • Moser & Starr (2016), “Otoferlin and synaptic deafness”
  • Qi et al. (2024), “First human trial of OTOF gene therapy”
  • Lv et al. (2024), “Efficacy of gene therapy for OTOF-related hearing loss”
  • Russell et al. (2017), “Long-term results of ocular gene therapy”

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