Diabetes und Hörverlust – das ist kein neues Thema. Bereits seit Längerem ist bekannt, dass Menschen mit Typ-2-Diabetes ein deutlich höheres Risiko für Hörprobleme haben. Bisher konzentrierte sich die Forschung dabei vor allem auf das Innenohr. Doch jetzt rückt ein bislang wenig beachteter Bereich in den Fokus: das Mittelohr, genauer gesagt die Gehörknöchelchen.

Eine neue Studie wirft einen genauen Blick ins Mittelohr von Menschen mit Typ-2-Diabetes – und entdeckt auffällige Veränderungen
Ein Forscherteam der Universität von Minnesota hat in einer aktuellen Studie die Gehörknöchelchenkette – also Hammer, Amboss und Steigbügel – unter dem Mikroskop betrachtet. Ihr besonderes Augenmerk galt dabei dem Gelenk zwischen Hammer und Amboss, dem sogenannten Incudomalleolar-Gelenk.
Was haben die Forscher gefunden?
Die Ergebnisse sind spannend: Im Vergleich zu Personen ohne Diabetes zeigten sich bei den untersuchten Verstorbenen mit Typ-2-Diabetes deutliche strukturelle Unterschiede. Zum einen waren bei ihnen die Knorpelschichten an Hammer und Amboss merklich verdickt. Außerdem war der Gelenkspalt weiter, während die Knorpelscheiben gleichzeitig enger beieinander lagen. Und nicht zuletzt wirkte die Gelenkstruktur verändert, was möglicherweise die Beweglichkeit und damit die Schallübertragung beeinflusste.
Solche Veränderungen könnten bedeuten, dass das Mittelohr bei Diabetikern rein mechanisch weniger effizient arbeitet – auch wenn sich das in dieser kleinen Studie (noch) nicht eindeutig in messbarem Hörverlust nachweisen ließ.
Hörverlust durch versteifte Gelenke? Eine Theorie
Die Forscher vermuten: Wenn das Gelenk zwischen Hammer und Amboss an Elastizität verliert oder sich strukturell verändert, kann das Auswirkungen auf die Weiterleitung von Schall haben – ähnlich wie bei altersbedingten Veränderungen oder bei anderen Erkrankungen der Gehörknöchelchen.
Zwar waren nur bei neun der untersuchten Spender Audiogramme verfügbar, aber alle Diabetiker gaben zu Lebzeiten Symptome wie subjektiven Hörverlust, Ohrendruck oder Tinnitus an. Das legt nahe, dass die Veränderungen am Mittelohr durchaus hörbar sein könnten – zumindest für die Betroffenen.
Warum reagiert Knorpel auf Zucker?
Interessant ist auch der Blick über das Ohr hinaus: In der Orthopädie ist bekannt, dass Knorpelzellen (Chondrozyten) empfindlich auf erhöhte Blutzuckerwerte reagieren. Bei Diabetes kommt es häufig zu oxidativem Stress in den Gelenken, was langfristig zu degenerativen Veränderungen führen kann – offenbar nicht nur im Knie, sondern möglicherweise auch im Mittelohr.
Was heißt das für Hörakustikerinnen und Hörakustiker?
Auch wenn diese Ergebnisse (noch) keinen direkten Einfluss auf die Beratung oder Versorgung im Fachgeschäft haben, liefern sie einen neuen Baustein im Verständnis diabetesbedingter Hörveränderungen. Vielleicht lohnt es sich, bei Betroffenen noch genauer nach Symptomen wie Ohrendruck oder diffusen Höreindrücken zu fragen – auch dann, wenn das Audiogramm auf den ersten Blick unauffällig ist.
Diabetes-Studie: Ein kleiner Gelenkspalt mit großer Bedeutung
Diese Studie ist die erste ihrer Art, die zeigt, dass Typ-2-Diabetes auch das fein abgestimmte System der Gehörknöchelchen beeinflussen kann. Die Entdeckungen aus dem Mikroskop werfen neue Fragen auf – etwa wie genau diese Veränderungen entstehen, wie früh sie einsetzen und welchen Einfluss sie langfristig auf die Hörfunktion haben.
Klar ist: Das Mittelohr verdient mehr Aufmerksamkeit, wenn es um Diabetes und Hören geht. Und vielleicht schauen wir künftig beim Thema „diabetischer Hörverlust“ nicht nur ins Innenohr, sondern auch auf die kleinen Gelenke dazwischen.
Quelle: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/lary.31257