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Medikamente als Risikofaktor für Hörverlust: Erkenntnisse aus klinischen Studien

Die Ursachen für sensorineuralen Hörverlust sind vielfältig und reichen von genetischer Disposition bis hin zu chronischer Lärmbelastung. Ein zunehmend beachteter, jedoch im klinischen Alltag oft unterschätzter Einflussfaktor ist die Einnahme bestimmter Medikamente. Insbesondere Schmerzmittel und andere weit verbreitete Arzneistoffe stehen im Verdacht, ototoxische Wirkungen zu entfalten. Aktuelle wissenschaftliche Studien liefern Hinweise darauf, dass dieser Zusammenhang sowohl klinisch als auch präventivmedizinisch von Bedeutung ist, auch für Fachkräfte in der Hörakustik.

Medikamente als Risikofaktor für Hörverlust: Erkenntnisse aus klinischen Studien
Bildquelle: © Christina Victoria Craft / Unsplash

Ototoxische Effekte: Definition und klinische Relevanz

Der Begriff Ototoxizität beschreibt eine pharmakologisch bedingte Schädigung des Innenohrs, insbesondere der Cochlea oder des Vestibularorgans. Zu den Symptomen zählen Hörminderung, Tinnitus oder Gleichgewichtsstörungen, häufig in schleichender Entwicklung. Je nach Medikament kann es sich um vorübergehende oder irreversible Schäden handeln. Für die Betroffenen ist ein frühzeitiger audiologischer Befund entscheidend, um einen beginnenden Hörverlust nicht zu übersehen.

Schmerzmittel im Fokus: Ergebnisse aus einer prospektiven Langzeitstudie

Eine vielzitierte Studie, veröffentlicht im American Journal of Medicine (2010), untersuchte den Zusammenhang zwischen regelmäßigem Schmerzmittelgebrauch und Hörverlust bei über 26.000 Männern im Alter von 40 bis 74 Jahren. Die prospektive Untersuchung erstreckte sich über 18 Jahre und kam zu dem Ergebnis, dass der regelmäßige Gebrauch von Acetylsalicylsäure (≥ 2x/Woche), Ibuprofen und Paracetamol signifikant mit einem erhöhten Risiko für Hörverlust assoziiert war. Dabei war das Risiko altersabhängig besonders ausgeprägt bei jüngeren Teilnehmern unter 60 Jahren.

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass nicht nur hochdosierte oder selten eingesetzte Medikamente eine Rolle spielen, sondern auch weit verbreitete, rezeptfrei erhältliche Präparate bei langfristiger Einnahme das Gehör beeinträchtigen können. Der zugrunde liegende pathophysiologische Mechanismus ist noch nicht vollständig geklärt, vermutlich spielen jedoch vaskuläre Veränderungen, Beeinträchtigungen der Cochleadurchblutung sowie direkte zelluläre Effekte eine Rolle.

Eine ergänzende prospektive Kohortenstudie von Curhan et al., veröffentlicht im American Journal of Epidemiology (2016), untersuchte den Zusammenhang zwischen der Einnahme von Schmerzmitteln und dem Risiko für Hörverlust bei über 55.000 Frauen im mittleren und höheren Erwachsenenalter. Die Analyse zeigte, dass sowohl Ibuprofen als auch Paracetamol bei häufiger Einnahme (mehr als zweimal pro Woche) mit einem erhöhten Risiko für selbstberichteten Hörverlust assoziiert waren. Dieser Zusammenhang war dosisabhängig und blieb auch nach Anpassung auf andere Risikofaktoren bestehen. Im Gegensatz zu früheren Ergebnissen bei Männern zeigte sich für Aspirin bei Frauen kein signifikanter Zusammenhang. Die Studienautoren betonen die Notwendigkeit, auch bei rezeptfrei erhältlichen Analgetika potenzielle Langzeitwirkungen auf das Hörvermögen in die Nutzen-Risiko-Abwägung einzubeziehen.

Weitere Arzneistoffe mit ototoxischem Potenzial

Neben Schmerzmitteln gelten auch andere Substanzklassen als potenziell ototoxisch. Dazu zählen unter anderem:

  • Aminoglykosid-Antibiotika (z. B. Gentamicin): bekannt für ihre Innenohrtoxizität, insbesondere bei intravenöser Anwendung.
  • Platin-basierte Zytostatika (z. B. Cisplatin): häufig in der Onkologie eingesetzt, mit dokumentierten, teils irreversiblen Hörschäden.
  • Schleifendiuretika (z. B. Furosemid): besonders in Kombination mit anderen ototoxischen Wirkstoffen kritisch.
  • Phosphodiesterase-5-Hemmer: vereinzelt wurde ein Zusammenhang mit plötzlichem Hörverlust beschrieben.

Implikationen für die Hörakustik: Beobachtung und Beratung

Für Hörakustiker ergibt sich aus diesen Erkenntnissen ein erweiterter Aufgabenbereich in der Patientenberatung. Zwar obliegt die Medikation ärztlicher Verantwortung, jedoch können Hörakustik-Fachkräfte einen wertvollen Beitrag leisten, indem sie sensibilisieren, gezielt anamnestisch nach Medikamenteneinnahme fragen und auf mögliche Zusammenhänge hinweisen.

Gerade bei plötzlicher oder progredienter Hörminderung sollte im Gespräch mit Betroffenen geprüft werden, ob relevante Medikamente eingenommen werden – insbesondere bei Personen ohne klassische Risikofaktoren für Hörverlust. Auch ein interdisziplinärer Austausch mit behandelnden Ärzten kann sinnvoll sein, um individuelle Risiken zu identifizieren.

Die Erkenntnisse aus der genannten Langzeitstudie sowie weiteren klinischen Untersuchungen unterstreichen, dass auch gängige Medikamente, insbesondere bei regelmäßiger Einnahme, einen relevanten Einfluss auf das Hörvermögen haben können. Für die Hörakustik bedeutet dies, dass neben klassischen audiologischen Parametern auch pharmakologische Aspekte in der Beratung und Verlaufskontrolle berücksichtigt werden sollten. Eine frühzeitige Erkennung ototoxischer Effekte ermöglicht es, Patienten gezielter zu begleiten und den Erhalt des Hörvermögens aktiv zu unterstützen.

Sharon G. Curhan, MD, ScM et al. (2010), “Analgesic Use and the Risk of Hearing Loss in Men”

Brian M Lin et al. (2016), “Duration of Analgesic Use and Risk of Hearing Loss in Women”

Aktueller Artikel von Healthy Hearing: Joy Victory (2025), “Drugs that can cause hearing loss or tinnitus – Some medications are considered ‘ototoxic’ “

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