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Studie HNO Klinik Erlangen: Tinnitus weg nach nur einer Spritze?

Eine einzige Dosis – und das Dauerrauschen im Ohr verschwindet? Klingt fast zu gut, um wahr zu sein. Doch genau das will eine neue Studie zum Wirkstoff AC102 gezeigt haben. Könnte damit der Weg zu einer echten Tinnitus-Therapie endlich offenstehen? Die Ergebnisse aus Erlangen machen Mut. Zum ersten Mal gibt es konkrete Hinweise darauf, dass Tinnitus ursächlich behandelt werden könnte – und das mit einem einzigen Wirkstoff. Dass AC102 nicht nur Symptome lindert, sondern geschädigte neuronale Strukturen im Innenohr aktiv regenerieren könnte, wäre ein wegweisender Paradigmenwechsel in der Tinnitus-Therapie.

Dr. rer. nat. Konstantin Tziridis von der HNO Klink Erlangen

„Unsere Ergebnisse deuten auf eine Regeneration der für Tinnitus kritischen Strukturen im Innenohr hin und könnten ein wichtiger Meilenstein und ein Hoffnungsschimmer für eine ursächliche Behandlung von Tinnitus sein“ sagt der Erstautor der Studie Dr. Konstantin Tziridis vom Universitätsklinikum Erlangen in einer von Berliner Biotech-Unternehmen AudioCure veröffentlichten Mitteilung.

Die Ergebnisse1, von denen Dr. Tziridis spricht, wurden kürzlich erstmalig im International Journal of Molecular Sciences veröffentlicht. Eine einzelne intratympanale Gabe des Wirkstoffs AC102 konnte in einem Tiermodell mit mongolischen Wüstenrennmäusen (Gerbils) Tinnitus-Symptome signifikant verringern und die Synaptopathie an inneren Haarzellen nach leichter Lärmtrauma rückgängig machen. Obwohl das Trauma keine Haarzellverluste verursachte, kam es zu anhaltendem Tinnitus und Synapsenverlust. AC102 stellte die geschädigten Verbindungen zwischen den Sinneszellen im Innenohr und dem Hörnerv – sogenannte Ribbon-Synapsen – wieder her und normalisierte so das veränderte Verhalten. Dabei zeigte sich bereits eine einmalige Anwendung als wirksam. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass AC102 potenziell zur Tinnitus-Therapie nach lärmbedingtem Hörschaden geeignet ist.

Hoffnung für Millionen: AC102 regeneriert beschädigte Synapsen im Innenohr

Tinnitus: Etwa 10 bis 15 % aller Erwachsenen sind betroffen, bei rund 20 % ist das Ohrgeräusch so stark, dass es die Lebensqualität massiv beeinträchtigt. Und bislang? Fehlanzeige bei der ursächlichen Therapie. Bisher gibt es lediglich symptomatische Behandlungen wie etwa MBSR, Noiser oder bimodale Neuromodulation, Stichwort Lenire. Die gute Nachricht: Das Team aus Erlangen und Berlin könnte jetzt einen echten Gamechanger entdeckt haben.


Das Experiment: Einmal Lärm, einmal AC102 – und Ruhe im Kopf

Die Studie, veröffentlicht im International Journal of Molecular Sciences, wurde am Universitätsklinikum Erlangen durchgeführt. Mongolische Wüstenrennmäuse wurden dort einem leichten Schalltrauma ausgesetzt, das zwar keine Haarzellen zerstörte, aber eine nachhaltige Tinnitus-Symptomatik und Synapsenschäden verursachte – ähnlich wie bei vielen menschlichen Betroffenen.

Dann der Test: Eine Gruppe erhielt AC102 direkt ins Mittelohr, eine andere ein Placebo. Fünf Wochen später war der Unterschied laut Studie frappierend: Die AC102-Gruppe war nahezu beschwerdefrei, während die Placebo-Tiere weiterhin unter den typischen Verhaltensmustern eines Tinnitus litten.

Auch auf mikroskopischer Ebene zeigte sich ein Effekt: In der AC102-Gruppe konnten deutlich mehr intakte Ribbon-Synapsen gezählt werden – ein starker Hinweis darauf, dass AC102 nicht nur Symptome lindert, sondern direkt an der Ursache ansetzt.

Von der Maus zum Menschen: Was bedeutet das für die klinische Praxis?

Alle Infos zur Teilnahme an der Studie gibt es hier

Noch ist AC102 nicht im Handel erhältlich – aber der Weg dorthin ist geebnet. Eine klinische Phase-2-Studie läuft bereits europaweit an mehr als 45 Studienzentren, unter anderem in Deutschland, Österreich und Polen. Hier wird getestet, ob AC102 bei Patienten mit akutem Hörsturz wirkt – einer Erkrankung, die häufig mit Tinnitus einhergeht.

Der Clou: In den bisherigen präklinischen Studien zeigte AC102 sogar eine bessere Wirksamkeit als Glukokortikoide, die bisherige (aber fragwürdige) Standardtherapie. Auch die Sicherheitsstudien an gesunden Probanden wurden bereits erfolgreich abgeschlossen. Verabreicht wird AC102 intratympanal – also direkt ins Mittelohr. Nebenwirkungen? Derzeit keine gravierenden bekannt.

Dr. Reimar Schlingensiepen, Geschäftsführer von AudioCure, wird in der Pressemitteilung deutlich: „Das andauernde Ohrgeräusch eines Tinnitus ist für viele Patienten noch belastender als der Hörverlust selbst. Mit AC102 hoffen wir auf ein wirksames Mittel gegen beides.“

Alle Infos für Patienten, Ärzte und Hörakustiker zur Studie

Ein Hoffnungsträger – mit realistischem Potenzial

Die Ergebnisse aus Erlangen machen Mut. Zum ersten Mal gibt es konkrete Hinweise darauf, dass Tinnitus ursächlich behandelt werden könnte – und das mit einem einzigen Wirkstoff. Dass AC102 nicht nur Symptome lindert, sondern geschädigte neuronale Strukturen im Innenohr aktiv regenerieren könnte, wäre ein Paradigmenwechsel in der Tinnitus-Therapie. Noch ist AC102 nicht auf dem Markt. Doch sollte sich die Wirkung in der laufenden klinischen Studie bestätigen, könnte das Mittel schon bald den Sprung in den Praxisalltag schaffen. Für Betroffene wie auch für Hörakustiker wäre das eine kleine Revolution – und für das „Dauerpiepsen im Kopf“ vielleicht endlich das verdiente Aus.

Quellen:

  • 1 Tziridis, K., Rasheed, J., Kwiatkowska, M., Wright, M., & Schlingensiepen, R. (2025). A Single Dose of AC102 Reverts Tinnitus by Restoring Ribbon Synapses in Noise-Exposed Mongolian Gerbils. International Journal of Molecular Sciences26(11), 5124. https://doi.org/10.3390/ijms26115124