Tinnitus – ein ständiges Klingeln, Summen oder Rauschen. Hyperakusis – das Gefühl, alltägliche Geräusche seien plötzlich viel zu laut. Zwei Phänomene, die für viele Betroffene zur täglichen Belastung werden. Aber: Die Ursachen liegen nicht nur im Ohr. Auch unser Gehirn – und besonders unsere Gedankenwelt – spielen eine zentrale Rolle. Neue Ansätze zeigen: Wer seine Gedanken formt, kann seine Wahrnehmung langfristig beeinflussen.

Was genau passiert bei Tinnitus und Hyperakusis?
Tinnitus ist das Hören von Geräuschen ohne äußere Schallquelle. Es kann leise oder laut sein, konstant oder pulsierend. Hyperakusis hingegen beschreibt eine übersteigerte Geräuschempfindlichkeit – häufig nehmen Betroffene bestimmte Klänge als schmerzhaft oder unerträglich laut wahr, obwohl sie objektiv im Normbereich liegen.
Beiden Erscheinungen ist gemeinsam: Das zentrale Nervensystem, insbesondere das Gehirn, bewertet und verarbeitet die Höreindrücke anders als gewöhnlich. Audiologisch gesehen handelt es sich bei beiden Störungen um eine veränderte zentrale Hörverarbeitung.
Das Gehirn als Verstärker und Filter
Unsere Hörwahrnehmung endet nicht im Innenohr. Erst im Gehirn wird entschieden, wie ein Geräusch erlebt wird – ob es relevant ist, ob es stört, ob es ignoriert werden kann. Bei Tinnitus und Hyperakusis kommt es oft zu einer fehlgeleiteten Aufmerksamkeitslenkung: Das Gehirn richtet seinen Fokus permanent auf das Geräusch, bewertet es als störend oder sogar gefährlich und verstärkt damit die Wahrnehmung weiter. Ein Teufelskreis entsteht – und zwar im Kopf.
Positive Denkstrategien bei Tinnitus: Was das Gehirn lernen kann
Hier setzt der Gedanke des „Positive Thinking“ an – nicht als bloße Wohlfühlfloskel, sondern als neuropsychologischer Ansatz. Unser Gehirn ist plastisch: Es verändert sich mit allem, was wir denken, fühlen und erleben. Und es lässt sich trainieren – auch in seiner Art, auf Geräusche zu reagieren.
Kognitive Verhaltenstherapien, Achtsamkeitstrainings und akzeptanzbasierte Methoden zielen genau darauf: Die gedankliche und emotionale Bewertung des Tinnitus oder der Hyperakusis zu verändern. Statt das Geräusch zu bekämpfen oder zu vermeiden, lernen Betroffene, es als neutral oder weniger bedrohlich wahrzunehmen.
Das Entscheidende: Es geht nicht darum, die Geräusche „wegzudenken“, sondern die Reaktion darauf umzuprogrammieren. Durch wiederholte positive Gedankenmuster, bewusste Aufmerksamkeitslenkung und konstruktive Selbstgespräche verändert sich das neuronale Netzwerk im Gehirn – und damit oft auch die Lebensqualität.
Konkrete Übungen bei Tinnitus und Hyperakusis: So trainieren Sie Ihr Gehirn aktiv um
Mentales Training kann helfen, die belastende Wahrnehmung von Tinnitus und Hyperakusis zu verändern. Hier sind fünf erprobte Übungen, die Sie direkt im Alltag anwenden können:
1. Achtsames Hören:
Setzen Sie sich ruhig hin, schließen Sie die Augen und lenken Sie die Aufmerksamkeit bewusst auf das Geräusch – ohne es zu bewerten. Denken Sie: „Es ist da, aber ich muss nicht reagieren.“ Nach zwei Minuten wechseln Sie den Fokus bewusst auf ein neutrales Geräusch (z. B. Vogelzwitschern, leise Musik).
2. Atemtechnik 4-2-6:
Atmen Sie 4 Sekunden ein, halten Sie den Atem 2 Sekunden und atmen Sie 6 Sekunden aus. Wiederholen Sie dies für 5–10 Minuten täglich – ideal zur Stressreduktion.
3. Gedanken-Tagebuch:
Schreiben Sie belastende Gedanken auf (z. B. „Ich halte das nicht aus.“) und formulieren Sie eine hilfreiche Alternative (z. B. „Ich habe schon viele schwierige Situationen gemeistert.“). So entsteht eine konstruktive innere Haltung.
4. Fokus-Schalter:
Stellen Sie sich vor, Sie schalten Ihre Aufmerksamkeit wie mit einem Regler: weg vom Tinnitus, hin zu einem angenehmen Geräusch. Üben Sie dies regelmäßig, auch wenn es anfangs nur kurz gelingt.
5. Positive Visualisierung:
Denken Sie an einen ruhigen, sicheren Ort und verankern Sie dieses Bild innerlich. Rufen Sie es auf, wenn das Geräusch belastend wirkt – das stärkt emotionale Selbstregulation.
Regelmäßige Anwendung dieser Übungen kann helfen, die Reaktion auf Ohrgeräusche nachhaltig zu verändern – weg vom Dauerstress, hin zu mehr innerer Ruhe und Selbstwirksamkeit.
Tinnitus und Hyperakusis: Perspektivwechsel statt Ohnmacht
Viele Betroffene berichten, dass sich ihre Situation verbessert hat, sobald sie aufgehört haben, gegen das Geräusch zu kämpfen – und begonnen haben, ihre Haltung dazu zu verändern. Dieser Perspektivwechsel kann therapeutisch begleitet werden, oft auch durch Audio-Übungen, Coaching oder strukturierte Selbsthilfemaßnahmen.
Wichtig ist: Positiv zu denken bedeutet nicht Schönreden, sondern ist ein Werkzeug, um das neuronale Gleichgewicht wiederherzustellen. Die Forschung zeigt zunehmend, dass das Gehirn auf Training reagiert – gerade auch im Bereich der Hörverarbeitung.
Praktischer Anstatz für die Tinnitus-Beratung im Fachgeschäft
Diese Ansätze können auch Hörakustiker in ihr Beratungskonzept aufnehmen: Moderne Hörsysteme – insbesondere mit Tinnitus-Noisern oder Geräuschtherapien – bieten eine hilfreiche Grundlage. Doch die alleinige Technik reicht oft nicht aus, wenn das Gehirn weiterhin im Alarmmodus bleibt.
Eine aufklärende Gesprächsführung, das Einbinden einfacher mentaler Strategien (z. B. Atemübungen, Fokuslenkung, positive innere Bilder) sowie eine realistische Erwartungshaltung können den Unterschied machen. Wer Betroffenen vermittelt, dass sie aktiv Einfluss auf ihre Wahrnehmung nehmen können, eröffnet neue Handlungsspielräume – und mindert das Gefühl von Hilflosigkeit.
Tinnitus und Hyperakusis sind reale Belastungen – aber sie sind nicht „nur im Ohr“. Das Gehirn entscheidet mit, wie ein Geräusch erlebt wird. Und wer sein Denken verändert, verändert oft auch sein Hören. Für Hörakustiker liegt darin eine Chance, Menschen nicht nur technisch, sondern auch mental zu unterstützen.
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