Die Hörgeräteindustrie steht an einem Wendepunkt. Immer mehr Consumer-Firmen steigen in den Markt ein. Und offenbar nicht zu Unrecht fragt man sich: Was haben die traditionellen Hörgerätehersteller diesem Wandel entgegenzubringen? Starkey macht sich diesbezüglich keine Sorgen: CEO Brandon Sawalich sucht in jüngster Zeit vermehrt die Öffentlichkeit, um Entwarnung zu geben und seine Zukunftsvisionen zu teilen. Er ist sich sicher: Mit KI und Wearable-Features steht das goldene Zeitalter der Hörgeräte erst noch bevor.

Während Apple seine AirPods Pro 2 zu Hörgeräten umfunktioniert und EssilorLuxottica die Hörbrille wiederbelebt, bleibt Starkey-CEO Brandon Sawalich cool. Über die Hörgerätebranche müsse man sich keine Sorgen machen – und über Starkey erst recht nicht. Diese Botschaft vermittelt er in den vergangenen Monaten immer wieder in Interviews.
Künstliche Intelligenz gegen das Hörgeräte-Stigma
Der wichtigste Schlüssel für das Fortbestehen der Hörgeräteindustrie sei zweifellos Künstliche Intelligenz, sagt Brandon Sawalich. Diese hat sich Starkey bereits vor sieben Jahren als Kernkompetenz zu eigen gemacht, als mit Achin Bhowmik ein neuer Chief Technology anheuerte – zuvor war er als KI-Experte bei Intel beschäftigt. Der kurz darauf eingeführte Edge Modus nutzte schließlich zum ersten Mal in der Branche KI zur Klangverarbeitung.
Als weiterentwickelten Edge Modus Plus findet man das Feature auch heute noch in den Starkey-Hörsystemen. Die aktuelle Plattform Edge AI setzt jedoch mittlerweile vollumfänglich auf eine Klangverarbeitung mittels Künstlicher Intelligenz – und Hörakustiker und deren Kunden sind begeistert vom Klang und der Spontanakzeptanz. Darauf ist Sawalich stolz, wie er in einem Interview mit Dave Asprey sagte: „Menschen wollten besser hören – das haben wir geschafft! Menschen wollten besser im Störlärm hören – auch diese Aufgabe haben wir erledigt. Die Frage ist also: Warum wollen so viele Menschen immer noch kein Hörgerät? Warum möchte niemand diese Superpower? Die Antwort ist: Stigma. Dabei wissen die Menschen gar nicht, was sie verpassen.“
„Superhuman-Hearing“
Big Thinking, das Unmögliche möglich machen, das Hörgerät neu definieren – das treibt Sawalich an. „Ich möchte, dass das Hörgerät Hear Tech wird. Ein Wearable.“ Als bekennender Marvel-Fan denkt Sawalich an J.A.R.V.I.S., den KI-Assistenten von Tony Stark. Ein Hörgerät könnte jeden unterstützen, egal ob schwerhörig oder nicht – es würde den Menschen sozusagen „Superhuman-Hearing“ verleihen. Und mit dieser Herangehensweise könne man auch dem Stigma gegenübertreten.
Das Ohr als Schnittstelle
Dabei geht es Sawalich aber nicht nur um den Klang: Er stellt sich ein ganzes AI Health-Ökosystem vor. Das Ohr könnte hierbei als Schnittstelle für Vitalinformationen dienen. Das würde sich anbieten, denn „das Ohr ist quasi transparent“, so Brandon Sawalich.
„Es ist eine bislang völlig ungenutzte Quelle für Vitalinformationen – man könnte hierüber den Blutfluss überwachen, den Puls, den Blutsauerstoff. Wir müssen nur einen Sensor einbauen.“ Sawalich spinnt die Idee noch weiter: „Das Hörgerät kann vielleicht irgendwann anhand der Stimmlage feststellen, ob der Träger depressiv ist – indem es herausfindet, wie sich die Stimme verändert. Und diese Daten kann der Träger mit seiner Familie teilen – natürlich datenschutzrechtlich sicher und nur wenn er es möchte.“
Starkey-Hörgeräte mit Echtzeit-Übersetzer
Hörgerät der Zukunft könnte aber auch bei Schlafproblemen helfen. „Es gibt bestimmte Frequenzen, die Menschen in den Tiefschlaf versetzen können“, so Sawalich. Eine weitere Idee ist der Ausbau der Übersetzungsfunktion: „Beim Hörgerät geht es ja ganz grundsätzlich darum, dass Menschen miteinander connecten können.“ Starkey-Hörgeräte sind zwar bereits seit Livio in der Lage, 76 Sprache zu übersetzen – jedoch mit Verzögerung. „Die große Kunst ist, die Sprache simultan zu übersetzen – in Echtzeit, ins Ohr“, sagt Brandon Sawalich, „ich denke, es wird nicht mehr länger als fünf Jahre dauern, bis wir diese Technologie entwickelt haben.“
Moonshot-Ideas: „Wenn man kein Risiko eingeht, lernt man nicht dazu“
„Der Trick ist: Man muss die richtigen Mitarbeiter finden – Menschen, die groß denken, Leute mit Moonshot-Ideas“, ist sich Brandon Sawalich sicher. „In den letzten fünf Jahren haben wir bestimmt 50 Prozent neue Talente bei Starkey eingestellt. Und dabei muss man auch Risiken eingehen. Man muss in Kauf nehmen, dass man auch versagen kann. Wenn man kein Risiko eingeht, lernt man nicht dazu.“
Kosten spielen dabei gar keine so große Rolle, so Brandon Sawalich geht: „Man kann mit Geld nicht mit Lebensqualität aufwiegen. Wenn es uns eine Million Dollar kostet, eine Technologie zu entwickeln, die einer Person hilft, dann hat es sich gelohnt – so ähnlich war es auch bei unserem Sturzsensor.“ Dass Starkey sich das erlauben kann, ist der Tatsache zu verdanken, dass der Hersteller nach wie vor inhabergeführt ist. „Wir müssen keine Stakeholder befriedigen oder Aktionärserwartungen erfüllen.“
Starkey-CEO Sawalich begrüßt Apples Eintritt in die Hörgerätebranche
„Das Stigma wird weniger – aber mein Ziel bleibt es, es völlig zu eliminieren.“ Daher begrüßt Brandon Sawalich den Eintritt von Apple in den Hörgerätemarkt. „Das fördert die Konversation – Apple ist schließlich ein Tech-Gigant. Vor 30 Jahren wurden Leute belächelt, die eine Brille hatten – heute geht es darum, wie cool Brillen sind. Mit Hörgeräten passiert gerade dasselbe.“
Mit seiner „Superhuman-Hearing“-Idee hat Sawalich eine eigene Vorstellung, wie das Stigma aufgelöst werden könnte: „Durch solche Features könnten die Leute automatisch früher anfangen, Hörgeräte zu nutzen. Und wer früh mit der Versorgung startet, der profitiert umso mehr von langfristigen Vorteilen wie geistiger Fitness bis ins hohe Alter – und eben Lebensqualität.“
Quellen:
https://finance.yahoo.com/video/starkey-using-ai-disrupt-hearing-220447481
https://daveasprey.com/1237-brandon-sawalich-starkey/