Im September 2024 hat Apple mit einer Ankündigung die Hörgerätewelt aufgemischt: Durch ein Software-Update sollten die AirPods Pro 2 nun als Over-the-Counter (OTC)-Hörgeräte nutzbar sein – ganz offiziell genehmigt durch die US-amerikanische FDA. Der erste Hype ist nun allmählich abgeflaut. Der ideale Zeitpunkt, einmal ganz sachlich zu resümieren: Können die AirPods Pro 2 wirklich ein Hörgerät ersetzen – auch in Deutschland?
Seitdem in den USA rezeptfreie Hörgeräte „over the counter“ verkauft werden dürfen, stellt man sich in Deutschland die Frage: Würde das Konzept hier überhaupt funktionieren? Immerhin profitieren wir hierzulande von einem Gesundheitssystem, das einen nicht unerheblichen Teil der Hörgerätekosten übernimmt. Die einen wägten sich und ihre Branche ob dieser Tatsache in Sicherheit, während Kritiker Gegenargumente fanden. „Warte, bis Apple einsteigt“, hieß es.
Was können die AirPods Pro 2 als Hörgeräte?:
Genau das ist mittlerweile passiert – und seit Ende Oktober kann sich jeder, der ein iPhone mit iOS 18 sowie AirPods Pro 2 besitzt, selbst von den neuen Hörgerätefunktionen überzeugen. Diese sind folgende:
- Hörtest: Ein einfacher Test direkt auf dem iPhone oder iPad, der Nutzer über seinen Hörstatus informiert.
- Hörgeräte-Funktion: Die AirPods können individuell angepasst werden – entweder mithilfe des durchgeführten Hörtests oder einer professionellen Audiogramm-Datei. Sie funktionieren dann wie OTC-Hörgeräte, gleichen die geschädigten Frequenzen aus und verstärken Sprechstimmen.
- Hörschutz: Dank aktiver Geräuschunterdrückung schützen die AirPods vor schädlichem Lärm und reduzieren die Belastung der Ohren.
Der Hörtest funktioniert folgendermaßen: Die AirPods Pro 2 begeben sich automatisch in das richtige Test-Setup, mit eingeschalteter Geräuschunterdrückung. Zudem erkennt das iPhone, ob die Umgebung leise genug für die Durchführung ist. Getestet wird für jedes Ohr einzeln, hört man einen Ton, drückt man auf den Button. Das besondere an diesem Test: Er passt sich dynamisch an die Reaktionen des Nutzers an. Anschließend erhält man die Auswertung samt Hörkurve.
Bei aktiviertem Transparenzmodus wird diese Hörkurve nun berücksichtigt – auch beim Musikhören oder Videostreaming. Nicht zuletzt kann der Nutzer die Konversationserkennung aktivieren, welche seine Beamforming-Mikrofone nutzt, um einen Fokus auf den Sprecher gegenüber zu legen – das kennt auch von klassischen Hörgeräten. Und über die Funktion Live-Mithören kann das iPhone sogar als externes Mikrofon genutzt werden.
Warum die AirPods Pro 2 auch in Deutschland für Schwerhörige interessant sind
Hörgeräten haftet auch in Deutschland noch ein Stigma an. Viele Menschen vermeiden daher eine aktive Auseinandersetzung mit dem Thema, vor allem wenn man die Hörprobleme im Alltag noch gut kompensieren kann. AirPods Pro 2 bieten hier einen niedrigschwelligen Einstige: sie sind gesellschaftlich verbreitet und erscheinen im Gegenzug zu klassischen Hörgeräten nicht als stigmatisierend.
Auch in Deutschland könnten viele Menschen zudem den Listenpreis von 279 € als Vorteil sehen. Möchte man Hörgeräte kaufen, welche die Mindestanforderungen der Krankenkasse übersteigen, ist die private Zuzahlung schnell höher. Ein weiterer Punkt kann die intuitive Bedienbarkeit sein – insbesondere für Nutzer, die bereits mit Apple-Produkten vertraut sind.
Herausforderungen und Einschränkungen
Sind die AirPods Pro 2 also der perfekte Ersatz für verschreibungspflichtige Hörgeräte? Nein: In einigen entscheidenden Punkten können die AirPods (noch) nicht mithalten. Da wäre die Akkulaufzeit, die von Apple mit bis zu 6 Stunden angegeben wird – kein Vergleich zu Hörgeräteakkus, die frühestens nach 24 Stunden erneut aufgeladen werden müssen. Zudem sind die AirPods Pro 2 lediglich für Menschen mit leichten bis mittlerem Hörverlust geeignet – ein Bevölkerungsanteil der zugegebenermaßen nicht zu vernachlässigen ist.
Außerdem: Auch wenn der digitale Hörtest zwar relativ zuverlässig die Hörkurve des Nutzers bestimmen kann, erkennt er keine anderen medizinischen Ursachen, die ebenfalls zu einer verminderten Hörfähigkeit führen können – zum Beispiel eine Ohrenschmalzblockade. Genauso wenig können die verschiedenen Gehörgangsanatomien berücksichtigt werden, um die beste Passform zu ermitteln – ohnehin sind die Kopfhörer nicht für eine längere Tragedauer konzipiert und können nach einer Weile Schmerzen verursachen.
Als On-Demand-Lösung für schwierige Hörsituationen könnten die AirPods Pro 2 jedoch einigen Menschen tatsächlich gute Dienste leisten. Menschen, die noch nicht bereit für die offizielle Diagnose Hörverlust sind, finden in den AirPods Pro 2 eine Möglichkeit, den Gang zum Akustiker aufzuschieben.
Aus audiologischer Sicht wäre es natürlich wünschenswert, wenn von vornherein keine Berührungsängste mit Hörgeräten bestehen würden – die Kehrseite der Medaille ist nämlich auch: Je länger man mit der professionellen Versorgung wartet, desto schwerer fällt die Gewöhnung an die Hörsysteme. Oder andersherum: Wer sein geschädigtes Gehör früh versorgt und die meiste Zeit des Tages mit einem Hörsystem unterstützt, der tut seinem Gehirn langfristig Gutes. Dieses freut sich über den in jeglicher Hinsicht aufrechterhaltenen Informationsfluss und dankt mit geistiger Fitness im Alter – das konnte bereits in einigen Studien nachgewiesen werden.
Auswirkungen auf die Hörgeräte-Branche
Der Wahrnehmung von Hörgeräten und damit der Branche könnten die aktuellen Entwicklungen sogar dienlich sein. Die Reputation der AirPods 2 können Vorurteile abschwächen: Wenn mehr über die Nutzung dieser Earbuds bei Schwerhörigkeit berichtet wird, könnte das dazu führen, dass sich auch das Image von Hörgeräten ändert.
Gleichzeitig stellt dies die Audiologie vor neue Herausforderungen. Hörakustiker könnten zunehmend mit Kunden konfrontiert werden, die zunächst auf Kopfhörer wie die AirPods Pro 2 setzen möchten und sich erst später professionelle Unterstützung suchen. Hier können Hörakustiker eine beratende Rolle übernehmen und den Übergang zu individuellen Lösungen erleichtern.
Wie geht es weiter?
Der Schritt, den Apple mit den AirPods gewagt hat, wird voraussichtlich weiteren Einfluss auf die Hörgeräteindustrie nehmen: Signia hat mit dem Active Pro IX bereits ein Hörgerät auf dem Markt, das optisch einem Earbud nachempfunden ist. Solche hybriden Lösungen könnten zukünftig vermehrt von den Hörgeräteherstellern forciert werden, wodurch sich Hörgeräte und Unterhaltungselektronik weiter annähern.
Ganz grundsätzlich zeigen die AirPods Pro 2, wie Technologie Barrieren abbauen kann –finanziell und ideell. In jedem Fall fordert diese Entwicklung eine Reaktion der klassischen Hörgerätehersteller – wer langfristig im Rennen bleiben möchte, muss die Bedürfnisse eben genau kennen und schlussendlich auch erfüllen.
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