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Der optimale Direktionalitätsindex, oder: Wie Widex seine Richtmikrofone perfektioniert hat

Menschen, die sich unterhalten, stehen sich normalerweise gegenüber. Warum also zeigen die meisten Hörgerätemikrofone nach oben? Das hat sich Widex auch gefragt – und Korrekturarbeit geleistet. Denn tatsächlich funktioniert die Richtwirkung nachweislich dann am besten, wenn die Mikrofone in Richtung Gesprächspartner zeigen – logisch. Wie effektiv Richtmikrofone das gewünschte Signal isolieren, beschreibt der sogenannte Direktionalitätsindex. Und durch eine kleine Anpassung des Richtmikrofon-Winkels ist es Widex gelungen, das Optimum herauszuholen.

Der optimale Direktionalitätsindex, oder wie Widex seine Richtmikrofone perfektioniert hat

Hörgeräte werden immer besser darin, mithilfe von Algorithmen und Filtern Sprache hervorzuheben und Hintergrundgeräusche auszublenden. Entscheidend bleiben jedoch nach wie vor die Richtmikrofone – und diese werden noch lange nicht optimal genutzt. Nachweislich funktionieren sie umso besser, je mehr sie auf das Ziel gerichtet sind. Trotzdem sind die Richtmikrofone der meisten RIC-Hörgeräte in einem Winkel von 30 bis 40 Grad zur Horizontalen ausgerichtet. Diesen Defizit kompensieren viele Hersteller schließlich nach der Schallaufnahme mithilfe von Signalverarbeitungsalgorithmen.

Widex hat sich jedoch einen Klang von höchstmöglicher Natürlichkeit auf die Fahne geschrieben. Und der Hersteller hat das Potenzial erkannt, welches in einer simplen Neupositionierung der Richtmikrofone steckt, deshalb setzte er noch einmal vorne an: Statt die Sprache mithilfe aggressiver Richtwirkungsalgorithmen im Nachhinein hervorzuheben – zu Lasten der Natürlichkeit des Klangs – sollte ein herabgesenkter Winkel der Richtmikrofone von vornherein mehr Informationen über das Zielsignal zur Verfügung stellen und damit weniger künstliche Nachbearbeitung notwendig machen. Die Devise: besseres Sprachverstehen bei natürlicherem Klang.

SmartRIC Winkel Direktionalitätsindex

Die Bedeutung des Direktionalitätsindexes

Bei der Entwicklung des SmartRICs hat man deshalb den optimalen praktikablen Direktionalitätsindex angestrebt. Dieser ist eine wichtige Kennzahl für die Effektivität von Richtmikrofonen: Je höher er ist, desto besser können die Mikrofone das Zielsignal von Umgebungsgeräuschen isolieren. Und der Direktionalitätsindex kann durch eine Veränderung des Winkels der Richtmikrofone in Relation zur Horizontalen eben relativ simpel beeinflusst werden.

Wie hoch der Einfluss des Winkels wirklich ist, zeigt ein Versuch: An einem KEMAR-Kopf wurden Hörgeräte befestigt. Davor wurde ein Lautsprecherbogen aufgebaut, der Testsignale abspielte und sich in 360 Grad um den KEMAR drehen ließ. In Abhängigkeit zur Frequenz konnte nun für verschiedene Hörgeräte-Positionen ermittelt werden, wie sich die Empfindlichkeit der Mikrofone in der Horizontalen aber auch der Vertikalen verändert – und damit der Direktionalitätsindex: Während bei einem Winkel von 0 Grad ein Direktionalitätsindex von 4 Dezibel gemessen wurde, sank dieser bei 40 Grad Abweichung bereits auf etwas über 1,5 Dezibel.

Direktionalitätsindex Studie
Je größer der Mikrofonwinkel gegenüber der Horizontalen, desto geringer ist der Direktionalitätsindex.
Quelle: Widex

Noch deutlicher wird die Bedeutung des richtigen Winkels, wenn man die SNR-Vorteile in die prozentuale Verbesserung der Sprachverständlichkeit übersetzt: Üblicherweise geht man davon aus, dass ein Dezibel SNR einer verbesserten Sprachverständlichkeit um etwa 12 Prozent entspricht. Bei einem Winkel von 0 Grad sind das 48 Prozent, während bei einem Winkel von 40 Grad nur noch 18 Prozent verbesserte Sprachverständlichkeit übrigbleiben – jeweils verglichen mit dem omnidirektionalen Modus. Beim SmartRIC wurde deshalb ein mittlerer Winkel der Richtmikrofone von 20 Grad angestrebt, der bislang niedrigste gemessene Winkel bei Hörgeräten.

Das Widex SmartRIC im Test

Da jedes Ohr anatomisch unterschiedlich ist, ging man jedoch davon aus, dass es Diskrepanzen zwischen dem geplanten und dem tatsächlichen Winkel der Richtmikrofone am Ohr geben könnte. Um das herauszufinden, führte Widex eine Studie durch: 20 Menschen aus Europa und Asien mit verschiedenen Ohranatomien, darunter 10 Frauen, wurde das SmartRIC ans Ohr gesetzt. Anhand einer Markierung am Hörgerät konnte anschließend der mittlere Winkel der beiden Mikrofone pro Ohr gemessen werden. Im Durchschnitt unterboten hier die Richtmikrofone den geplanten Winkel sogar: mit einen mittleren Winkel von 17 Grad zur Horizontalen.

Der optimale Direktionalitätsindex, oder wie Widex seine Richtmikrofone perfektioniert hat
Links: Widex mRIC. Rechts. Widex SmartRIC

Doch welche handfesten Auswirkungen hat das nun auf das Sprachverstehen? Um das herauszufinden, hat man in einer weiteren Studie das SmartRIC mit dem mRIC von Widex verglichen, welches einen typischen Richtmikrofonwinkel von 30 bis 40 Prozent besitzt. Der Direktinalitätsindex wurde abermals mithilfe eines KEMAR-Kopfes ermittelt, an welchem nun jeweils beide Hörgeräte angebracht wurden. Es ergaben sich deutliche Unterschiede – vor allem in den hohen Frequenzen:

Im Mittel betrug der Unterschied 0,8 Dezibel. Nimmt man nun die oben beschriebene Umrechnung vor, ergibt sich beim SmartRIC ein Plus von etwa 10 bis 12,5 Prozent Sprachverstehen gegenüber dem mRIC.

Direktionalitätsindex Widex SmartRIC mRIC
Das SmartRIC hat wegen seines verbesserten Mikrofonwinkels einen deutlichen SNR-Vorteil gegenüber dem mRIC – besonders in den hohen Frequenzen.
Quelle: Widex

Was bedeutet der Direktionalitätsindex für die Praxis?

In der Praxis hängt die Wahrnehmung von Sprache im Lärm natürlich von weit mehr Faktoren ab als von Winkel der Hörgerätemikrofone. Die empfundene Verbesserung kann daher variieren. Außerdem können zwei Hörgeräte mit unterschiedlichen Richtcharakteristiken in Bezug auf die Sprachqualität sehr unterschiedlich klingen – auch wenn der Direktionalitätsindex ähnlich ist.

Trotzdem: Widex hat gezeigt, welch großen Einfluss ein veränderter Winkel der Richtmikrofone auf das Sprachverstehen haben kann – und dieses Wissen können Hörakustiker im Praxisalltag anwenden: Je kürzer der Hörer, desto sichtbarer ist zwar das Hörgerät, doch desto leichter fällt das Verstehen von Sprache. Bauformbedingt, gibt es hier jedoch Grenzen. Ein herkömmliches RIC wurde schließlich nicht für den optimalen Direktionalitätsindex designt ist die Zuleitung zu kurz, sitzt das Gerät eben nicht mehr optimal. Hier den richtigen Kompromiss zu finden, ist Aufgabe des Akustikers.

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