Home | Branche | Techniker Krankenkasse bietet Online-Hörgeräteversorgung
Branche

Techniker Krankenkasse bietet Online-Hörgeräteversorgung

Die Techniker Krankenkasse ist mit ihren circa 12 Millionen Versicherten die mit Abstand größte Krankenkasse in Deutschland. Nur die AOKen sind zusammengenommen größer. Kein Wunder also, dass die Branche durchaus kritisch beäugt, wenn Die Techniker nun Leistungen für die Hörversorgung anbietet, die rein online stattfinden sollen. Und das mit Audibene als Partner. Die Berliner haben seit ihrer Gründung 2012 das bis dato bestehende Versorgungsmodell in die damals quasi unerschlossene Welt des Digitalen Marketings geholt und so über das letzte Jahrzehnte die harte Währung „Leads“ in der Hörakustik etabliert. Ganz nebenbei wirft die Techniker Krankenkasse mit diesem Schritt nun ganz konkret und zum Anfassen nahe die häufig diskutierte Frage auf, wie Hörgeräte wohl in Zukunft an die Ohren der Patienten kommen. Mit sehr gemischten, teils heftigen Reaktionen wie sich nun zeigt.

„Hörgeräte einfach von zu Hause aus bestellen“

Bereits zum 18. Mal in Folge wird die Techniker Krankenkasse (TK) von Focus-Money in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Finanz-Service Institut (DFSI) als beste Krankenkasse Deutschlands ausgezeichnet. Besonders positiv hervorgehoben wurden der exzellente Service, die digitalen Angebote, die Zusatzleistungen sowie die hohe Transparenz.

Geht es nach der neuen Leistungsvereinbarung zwischen der Techniker Krankenkasse und Audibene, kommt ein neuer digitaler Gesundheitsservice hinzu: „Hörgeräte von Hause aus bestellen“. Genau das sei nun möglich, eben auch für gesetzlich Versicherte. Die digitale Versorgung mit dem Vertragspartner Audibene sei schnell, einfach und sicher. Mehr noch: Die digitale Anpassung funktioniere „genau so gut wie im Fachgeschäft oder in der Arztpraxis“ wie es in der Leistungsbeschreibung1 des Versicherers im Internet heißt.

Traditionell vs online

Man könne die digitale Anpassung der neuen Hörgeräte allerdings auch abbrechen und zum Hörgeräte-Akustiker vor Ort gehen. Alles kann, nichts muss, also. Damit bietet die Techniker Krankenkasse ihren Versicherten nicht nur erklärtermaßen eine Alternative zur Versorgung in Fachbetrieben oder HNO-Praxen an, sondern stellt damit aber auch ganz nebenbei die traditionelle Versorgung infrage und löst damit eine öffentliche Debatte nicht ganz ungeahnten Ausmaßes aus.

„Traditionell“ soll aber hier allerdings nicht altbacken oder zurückgeblieben bedeuten. Ganz im Gegenteil: Viele Hörakustik-Unternehmen haben in der Vergangenheit die Möglichkeiten der Hörgerätehersteller genutzt, um ihren Kunden eine extrem zeitgemäße Versorgung zu ermöglichen: Sei es beispielsweise durch teleaudiologische Anwendungen, die Nutzung von Assistenz-Applikationen oder aber eigenen Einstellungsoptionen zur situativen Verbesserung des Verstehens oder Hörens. Es wurde und wird viel ausprobiert, um den Bedürfnissen der Kunden gerecht zu werden: Möglichst personalisierte, individuell zugeschnittene Lösung für besseres Hören. Vor dem Hintergrund, dass sich die Kunden Zeit sparen, zum Beispiel durch häufige Besuche vor Ort, oder in den Genuss einer modernen Gesundheitsdienstleistung samt Technologie zu kommen. Die Anforderungen der Zielgruppe sind nun mal auch vielfältiger geworden.

„Traditionell“ heißt eher, für die Anamnese, die Beratung, den Hörtest, die Auswahl, die Erstanpassung und vergleichende Anpassung einen Fachbetrieb mit Meisterpräsenz aufzusuchen, der auch für alle Fragestellungen während des tagtäglichen Gebrauchs und für den Service, etwa die Reinigung oder die Anfertigung neuer Ohrpassstücke, oder aber für ein Gespräch da ist. Vertrauen, der Faktor Mensch, die persönliche Betreuung eben. Das Angebot der Techniker Krankenkasse und Audibene sieht anders aus.

So soll es funktionieren

Der Prozess der neuen Online-Hörgeräteversorgung beginnt mit einer Verordnung. Anschließend können sich die Versicherten mit dem Vertragspartner Audibene in Verbindung setzen und und einen Termin für ein Videogespräch zur Anpassung der Hörgeräte vereinbaren. In diesem Gespräch wird der individuelle Hörbedarf ermittelt.

Nach dem Erstgespräch erhalten die Patienten eine Auswahl an Hörgeräten sowie ein Tablet und weiteres Zubehör zugeschickt. Die weitere Betreuung solle durch einen Audibene-Partnerbetrieb erfolgen, der die Versicherten in einem Video-Telefonat anleitet, wie das Tablet zur Anpassung der Hörgeräte genutzt wird. Ziel ist es, das passende Gerät durch einen geführten Testprozess zu finden. Nach der Testphase solle man das Tablet, das Zubehör und die nicht benötigten Hörgeräte kostenfrei zurücksenden. Sollten während der Eingewöhnungszeit Fragen oder Schwierigkeiten auftreten, stünde dann wieder das Team von Audibene telefonisch zur Verfügung.

Der Knackpunkt: Die Rolle der Partnerbetriebe in diesem Prozess. Sie würden den Informationen der TK zufolge in einem erneuten, zweiten Video-Telefonat anleiten, wie das Tablet benutzt wird, um die passenden Hörgeräte zu finden und einzustellen. Die veröffentlichte Bewertung eines Endkunden hingegen, die in den sozialen Medien kursiert, legt nahe, dass dieser Schritt im beschriebenen Fall durch Audibene selbst durchgeführt wurde. In einem Statement von Audibene, das unserer Redaktion vorliegt, wird erklärt, dass die rein teleaudiologische Versorgung lediglich für die Kunden zum Tragen käme, „die keinen Zugang zu einem audibene Partner-Fachgeschäft haben und audiologisch geeignet sind“. Andernfalls würde Umsetzung des teleaudiologischen Ansatzes als Versorgungsoption ausschließlich gemeinsam mit Partner-Betrieben erfolgen.

Reaktionen in den Sozialen Medien

Audibene hat die Hörgeräteversorgung in den letzten Jahren unausweichlich verändert: Von der Ansprache im Internet, einer eigenen Beratung, den Aufbau eines 1.300 Partnerbetriebe umfassenden Netzwerks in Deutschland, über datengetriebene CRM-Lösungen bis hin zu einer internationalen Expansion war alles dabei. Viele haben profitiert, andere sahen sich benachteiligt. Manch einen hat es inspiriert, digitaler zu werden und eigene Lösungen auf die Beine zu stellen.

Das Angebot der Techniker Krankenkasse löste in den sozialen Medien sehr gemischte Reaktionen aus – eine Mischung aus Kritiken am Audibene-Partnermodell an sich und der beschriebenen Kooperation mit der TK. Viele Branchenmitglieder sahen dies als vorhersehbare Entwicklung, wobei einige die Akustiker selbst dafür verantwortlich machen, durch die bisherige Zusammenarbeit mit Audibene den Weg geebnet zu haben. Kritiker betonen, dass die lokale Hörakustik durch solche Partnerschaften an Wert verliert und die Akustiker als „Leibeigene“ von Audibene agieren würden. Andere hingegen sehen die Kooperation mit den Berlinern bis dato hingegen pragmatisch, nutzten sie als Starthilfe für ihr Geschäft und betonen die Rolle der Kunden als mögliche Multiplikatoren. Dennoch zeigt sich Unmut über die fehlende Unterscheidung für die Versicherten der TK zwischen Audibene und den lokalen Akustikern.

Angeprangert wurde auch eine Doppelmoral der TK, die strenge Anforderungen an stationäre Hörakustik-Fachbetriebe stellt, während sie gleichzeitig Online-Anpassungen ohne Präsenz unterstützt. Die Diskussion zeigt die Spaltung unter den Hörakustikern: Einige fordern einen klaren Schnitt mit Audibene, während andere das Modell als unvermeidliche Marktentwicklung akzeptieren. Weiterhin könne man Verständnis für ein solches Online-Versorgungsmodell für Länder entwickeln, in denen es keine so hohe Dichte an Fachbetrieben gebe. Deutschland allerdings zähle eben nicht dazu. Viele befürchten jedoch, dass der Fokus auf Online-Anpassungen zu einem Verlust der persönlichen Betreuung und Qualität führen könnte, und sehen darin eine Bedrohung für die Zukunft des Berufs.

Dieser Vertrag ist so neu, dass er der biha zum Stand der Recherche1 noch nicht vorlag, und damit auch kein Statement von ihr. Die zentrale Mitgliederversammlung der biha während des EUHA Kongresses wird damit einmal mehr einem Muss. Aber wohl sicher auch, die Anforderungen und Bedürfnisse der Kunden einmal mehr zu refokussieren, zu hinterfragen, ob man wirklich alle erreiche und anspreche, und, wenn man das wolle, das Angebot im Fachbetrieb anzupassen oder zu erweitern. Das Thema wird sicherlich noch für viel Gesprächsstoff sorgen, wenn mehr Klarheit besteht, wie die Anpassung mit den Tablets tatsächlich funktioniert – ob und wie mit den Partnerbetrieben, und ob das Angebot tatsächlich auch nachhaltig von den Versicherten genutzt und wie es in der Praxis bewertet werden wird.

Bleiben Sie auf dem Laufenden!

Unser Newsletter versorgt Sie alle zwei Wochen mit den relevanten News aus der Branche.

Quellen:

https://www.tk.de/techniker/versicherung/tk-leistungen/weitere-leistungen/hilfsmittel/hoergeraete-erwachsene-kinder/hoergeraete-online-bestellen-2178130

Geschäftsbericht 2023 Techniker Krankenkasse

1 Stand der Recherche: 2. Oktober 2024

Tags