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Musik genießen mit CI ist möglich – erfordert aber viel Übung

Viele Patienten profitieren enorm von einem Cochlea-Implantat, wenn es um das Verstehen von Sprache geht. Musikhören hingegen bleibt häufig eine Herausforderung. Brad Ingrao weiß wieso. Er ist Audiologe in den USA und hat einen speziellen Ansatz entwickelt, der CI-Trägern dabei helfen soll, musikalische Klänge verstehen zu lernen. Sein Kredo: Es ist möglich, Musik auch mit CI zu genießen, aber es braucht Zeit und Training.

Musik genießen mit CI ist möglich – erfordert aber viel Übung

Deshalb fällt Musikhören mit Cochlea Implantat so schwer

Das Verstehen von Sprache ist der wichtigste Benefit eines Cochlea-Implantats – trotzdem werben Hersteller auch damit, „Musik wieder so richtig genießen“ zu können. Für Betroffene kann es frustrierend sein, wenn sie bemerken, wie weit Erwartung und Realität oft auseinander liegen. Viele CI-Träger finden, dass ihre Lieblingsmusik seltsam, verstimmt oder einfach unangenehm klingt – und das, obwohl ein Cochlea Implantat die allermeisten Frequenzen abdeckt, die auch in der Musik vorkommen: etwa 125 bis 8.000 Hz.

Woran liegt es also? Das Stichwort lautet Klangfarbe. Zwar kann ein CI den Tonumfang einer Geige (ca. 196 Hz bis 2.637 Hz) oder einer Oboe (ca. 233 Hz bis 1.396 Hz) technisch gesehen wiedergeben, jedoch nicht die für das Instrument charakteristische Klangfarbe, die eine genauere Tonhöhenwahrnehmung erfordert. Vergleicht man die Frequenzgänge verschiedener Instrumente, sieht man, dass jedes zwar einen ähnlichen Gesamtfrequenzbereich abdeckt, aber ein ganz eigenes harmonisches Muster aufweist. Und wegen dieser Unterschiede klingt eine Geige anders als eine Oboe, auch wenn sie den gleichen Ton spielt.

Musik genießen lernen mit CI

Es ist also nach heutigem Stand noch nicht möglich, Musik mit einem CI genauso wie mit einem gesunden Gehör wahrzunehmen – allerdings muss das nicht bedeuten, dass man nicht lernen kann, Musik zu genießen. Brad Ingraos Ansatz kann genau dies erreichen, erfordert jedoch viel Übung und eine gewisse Offenheit gegenüber neuen Stilen und Instrumenten.

Zu Beginn wird ermittelt, welche Fähigkeiten der Patient beim Musikhören mit CI bereits entwickelt hat: Ingrao nutzt dafür ein Roland Aerophone – ein Blasinstrumente-Synthesizer, der sämtliche Klänge simulieren kann. Darauf spielt er eine markante Stelle aus einem Stück, das der CI-Träger gut kennt. Dieser bewertet den Klang anhand folgender Fragen: „Ich höre den Rhythmus“, „Ich höre unterschiedliche Tonhöhen“, Ich erkenne das Instrument“, „Es klingt angenehm“ und „Es erinnert mich an etwas“. Er testet verschiedene Instrumente, bewährt haben sich zum Beispiel die menschliche Stimme, das Fagott, Cello, die Klarinette, Trompete, Oboe oder Geige.

Sobald das oder die besten Instrumente gefunden wurden, überprüft er die Tonhöhenwahrnehmung: Wie viele Tonhöhen kann der Patient hören? Und wie nahe können sie beieinanderliegen, bevor sie sich vermischen. Zuletzt bittet er die CI-Träger, ihre fünf Lieblingslieder aus der Zeit vor dem Hörverlust aufzulisten – mitsamt Emotionen, die diese hervorriefen.

Zeit, Training und Offenheit

Dann beginnt das Training: Brad Ingrao stellt gemeinsam mit seinen Patienten Playlists zusammen mit Songs, welche die am besten bewerteten Instrumente enthalten, sortiert nach den zuvor identifizierten Emotionen. Die CI-Träger sollen diese Listen kontinuierlich erweitern und sich so eine Bibliothek mit Musik zusammenstellen, die sie noch nicht gehört haben – auf diese Weise vergleichen sie die Lieder nicht negativ mit früher.

Alle paar Monate werden die Songs erneut bewertet – und im besten Fall ein paar Instrumente hinzugefügt. Es dauert ungefähr ein Jahr, bis die Patienten beginnen, Songs zu verstehen und einzuschätzen, die ähnlich komplex wie ihre „verlorenen“ Lieblingslieder sind. Nach etwa zwei Jahren sei Musik im Schnitt für die meisten Patienten genießbar, zeigt Ingraos über 20-jährige Erfahrung mit CIs.

Es ist also möglich, auch mit Cochlea Implantat Freude am Musikhören zu empfinden – mit viel Zeit, Arbeit und Offenheit gegenüber neuen Musikstilen und Instrumenten. Für einen optimalen Verlauf appelliert Brad Ingrao, eher früher als später mit der CI-Versorgung zu beginnen: Je weniger der Patient bereits hörentwöhnt ist, desto einfacher ist die Gewöhnung an das elektrische Hören – einschließlich Musik.