Seit einem Jahr, dem 17. Oktober 2022, werden in den USA offiziell sogenannte OTC-Hörgeräte vertrieben. Diese rezeptfreien „Over-the-Counter“-Hörgeräte sollten eine Lücke schließen: Nur 14 Prozent der schwerhörigen US-Amerikaner waren bis dato mit Hörgeräten versorgt. Und diese Diskrepanz, die mit zu hohen Hörgerätepreisen und zu großen Hürden bei der Versorgung begründet wurde, sollte mithilfe günstiger, leichter verfügbarer Hörlösungen aufgewogen werden. Aber laut einer Umfrage der American Speech-Language-Hearing Association (ASHA) geht der Plan nicht auf.
Online Umfrage: So werden OTC-Hörgeräte wahrgenommen
Die ASHA wollte herausfinden, wie rezeptfreie Hörgeräte in der relevanten Zielgruppe wahrgenommen werden. Deshalb initiierte der 228.000-Mitglieder starke Verband eine Online-Umfrage: Zwischen dem 27. Juni und dem 7. Juli nahmen 2.228 US-Amerikaner ab 40 Jahren teil – darunter 1253 Menschen mit Hörproblemen.
Hörprobleme nicht schlimm genug
Von allen Beteiligten gaben 56 Prozent an, nicht gut zu hören – fast die Hälfte der unversorgten Schwerhörigen bereits seit über zwei Jahren. Und obwohl beinahe ein Drittel bestätigte, dass die Schwerhörigkeit die Lebensqualität beeinträchtige, haben nur 8 Prozent der schwerhörigen Teilnehmer etwas dagegen unternommen. Fehlendes Geld als möglichen Grund belegte dabei nicht einmal den ersten Platz: Die meisten fanden, dass die Hörprobleme noch nicht schlimm genug waren, um etwas zu unternehmen.
Kaum Interesse an OTC-Hörgeräten
Seit dem Verkaufsstart haben nur sehr wenige Schwerhörige OTC-Hörgeräte gekauft: lediglich 2 Prozent. Und auch die Bereitschaft, sich in der Zukunft welche zu kaufen, ist mit 4 Prozent sehr gering. Nachdem die Hemmschwellen Versorgungsweg und Geld mit der OTC-Kategorie bedeutend herabgesetzt wurden, ist die Frage: Was hält die schwerhörigen Menschen weiterhin davon ab, sich zu versorgen? Sicher – fehlendes Bewusstsein für die Folgen von Schwerhörigkeit ist nach wie vor ein Thema. Dazu gehört auch das Bewusstsein über mögliche Lösungen.
Und hier ist noch einiges zu tun: 31 Prozent der Befragten haben noch nie etwas von OTC-Hörgeräten gehört – und weitere 24 Prozent nur sehr wenig. Weniger als die Hälfte der Befragten kennen überhaupt den Unterschied zu sogenannten Personal Sound Amplification Products – damit sind Kopfhörer gemeint, die Geräusche für normalhörende Menschen verstärken, aber für schwerhörige Menschen ungeeignet und sogar schädlich sein können. Sich mit den OTC-Geräten von diesen PSAPs abzugrenzen, war ein wichtiges Anliegen der FDA.
OTC-Hörgeräte-Träger überwiegend zufrieden
Immerhin: Fast die Hälfte derjenigen, die OTC-Hörgeräte trugen, das waren 37 Teilnehmer, waren hochzufrieden. Am besten gefiel ihnen die Personalisierungsoptionen, gefolgt von der Performance und dem Preis. 28 Prozent der Teilnehmer hingegen waren mit den rezeptfreien Hörgeräten unzufrieden und nannten mangelnde Effektivität und schlechte Klangqualität als Hauptgründe – 56 Prozent von ihnen sahen als nächsten Schritt die Konsultation eines Arztes oder Hörakustikers.
Die Umfrage zeigt deutlich: Nur weil man materiellen Hürden herabsetzt, entscheiden sich nicht plötzlich wesentlich mehr Menschen für Hörgeräte. Schließlich beträgt selbst in Deutschland, wo Krankenkassen die Kosten für ein Hörgerät mit Mindestvoraussetzungen übernimmt, die Versorgungsrate lediglich 5,6 Prozent. Die USA steht offenbar weiterhin vor denselben Herausforderungen, allen voran: Stigma bekämpfen und Bewusstsein schaffen. Und die rezeptfreien Hörgeräte können hier mit Sicherheit ihren Teil beitragen. Doch das vielzitierte größte Kuchenstück der unversorgten leicht- und mittelgradig Schwerhörigen konnte auch diese Lösung nicht für sich gewinnen – zumindest noch nicht.
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Quellen:
https://www.asha.org/siteassets/press-room/asha-otc-hearing-aid-survey-report-2023.pdf
https://www.egms.de/static/de/journals/zaud/2019-1/zaud000004.shtml