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Wissenswertes über die Gehörlosenkultur

Die Gehörlosengemeinschaft nutzt eine andere Sprache – buchstäblich. Ihre Sprache, die Gebärdensprache, ermöglicht nicht nur die Kommunikation mit anderen Gehörlosen. Sie dient gewissermaßen auch als Erkennungsmerkmal einer linguistischen Subkultur unserer Gesellschaft. Grundsätzlich versteht sich die Gehörlosenkultur nicht als eingeschränkt – und sie möchte auch nicht, dass sich daran etwas ändert.

Wissenswertes über die Gehörlosenkultur

Vorurteile über die Gehörlosenkultur abbauen

Eine der Möglichkeiten, wie sich Gehörlose als Kultur auszeichnen, ist die Großschreibung des Wortes „Gehörlos“ und die Bemühungen, die Einstellung der Mainstream-Gesellschaft zu ändern.

Menschen in der Gehörlosengemeinschaft verwenden in der Regel nicht das Wort „behindert“, da dieses Wort impliziert, dass sie „minderwertig“ sind, als ob ihnen etwas fehlen würde. Durch die Entfernung des Labels wollen sie auch etwaige Stigmata beseitigen, die damit verbunden sein könnten.

Wenn man gehörlos ist, sehe man die Welt auf eine andere Weise, sagt die US-amerikanische Gehörlosenaktivistin Eileen O’Banion: „Man kommuniziert anders. Man sucht andere Gehörlose auf, weil sie einen verstehen. Man findet nicht, dass man eine Behinderung hat – und man will diese auch nicht reparieren.“

Gehörlosensprachen wie die Deutsche Gebärdensprache (DGS) gilt als eigenständige, komplexe Sprache, die aus Handzeichen, Gesichtsausdrücken und Körpersprache entsteht. Die Grammatik unterscheidet sich grundlegend von derjenigen der deutschen Lautsprache, weshalb eine wortwörtliche Übersetzung in etwa so klingen würde, als würde man Worte der deutschen Sprache mit englischem Satzbau verwenden.

Die DGS wird von etwa 200.000 Menschen in Deutschland, Belgien und Luxemburg verwendet – die in Österreich und der Deutschschweiz verwendeten Gebärdensprachen sind damit nicht verwand und gehören zu den französischen Gebärdensprachen.

Wie gesprochene Sprache hat die Gebärdensprache verschiedene Akzente, Rhythmen, Regeln für Aussprache, Wortstellung und Grammatik. Die Sprache ist so komplex, dass einige Mitglieder der Gehörlosenkultur sagen, sie könnten erkennen, wann eine Person Gebärdensprache gelernt hat, indem sie beobachten, wie sie gebärdet.

Audismus und Oralismus

Die Gehörlosenkultur glaubt, dass die Mainstream-Hörwelt zu viel Wert auf das gesprochene Wort legt. Einige Aktivisten sprechen von Audismus – einer Haltung der Überlegenheit aufgrund der Fähigkeit zu hören – und Oralismus – der Befürwortung oder Verwendung der oralen Methode, um gehörlose Schüler sprechen zu lehren. Sie empfinden Audismus und Oralismus als herabwürdigend. Außerdem würde dadurch die Fähigkeit des Gehörlosen, Sprach- und Hörkompetenzen zu entwickeln, beeinträchtigt.

„Die Gehörlosenkultur ist wichtig, weil sie es den Individuen ermöglicht, sie selbst zu sein“, erklärt O’Banion, „und auf eine Weise zu leben, die einzigartig für sie ist. Es gibt mehr an einer Person als nur die Frage, ob sie hören kann oder nicht.“

Cochleaimplantate – ein zweischneidiges Schwert

Für viele sind Cochlea-Implantate eine beeindruckende Möglichkeit, trotz Taubheit hören zu können. Einige Mitglieder der Gehörlosengemeinschaft hingegen lehnen CI-Versorgungen jedoch grundsätzlich ab – insbesondere für Säuglinge, die ohne Gehör geboren werden. Sie glauben, dass jeder Mensch das Recht haben sollte, selbst zu entscheiden, ob er gehörlos bleiben möchte, und ermutigen Eltern, die entsprechende Gebärdensprache als erste Sprache des Babys zu lehren.

Einige Aktivisten sind sogar der Meinung, dass das Erlernen von Sprache und kognitiver Entwicklung durch Gebärdensprache ein grundlegendes Menschenrecht ist, das geschützt werden sollte, und dass die Wahl von Cochleaimplantaten Familien davon abhält, Gebärdensprache zu lernen und die Gehörlosenkultur anzunehmen.

Wie man mit gehörlosen Personen kommuniziert

Wer mit Gehörlosen kommunizieren möchte, muss glücklicherweise nicht unbedingt Gebärdensprache lernen. Laut einem von der Rochester Institute of Technology entwickelten Merkblatt – eine der führenden Lerninstitutionen für Gehörlose innerhalb der USA – gibt es fünf Richtlinien, die Sie beachten sollten, wenn Sie mit Gehörlosen kommunizieren:

  1. Lassen Sie sich nicht entmutigen, wenn sich die Kommunikation anfangs ungewohnt und vielleicht sogar unangenehm anfühlt – das ist in Ordnung und wird sich im Laufe der Interaktion legen.
  2. Nutzen Sie Stift und Papier – das ist völlig in Ordnung. In der Regel wird Ihr Gegenüber Ihre Bemühungen zu schätzen wissen, wenn Sie Handgesten, Mimik und Schrift kombinieren.
  3. Nehmen Sie sich Zeit. Gehörlose Menschen betrachten Kommunikation als Investition von Zeit und Bemühung. Fragen Sie nach, wenn Sie etwas nicht verstehen.
  4. Gehörlose hören mit ihren Augen. Sprechen Sie deshalb nur, wenn Sie Blickkontakt haben, auch wenn ein Dolmetscher anwesend ist – das ist nicht zuletzt ein Zeichen des Respekts.
  5. Wenn es angebracht ist, berühren Sie Ihr Gegenüber. Insbesondere den Beginn und das Ende eines Gesprächs können Sie als Gelegenheit nutzen, um körperlichen und visuellen Kontakt zur gehörlosen Person herzustellen – vor allem dann, wenn ein Dolmetscher die Kommunikation unterstützt. Lächeln Sie, schütteln Sie die Hand, stellen Sie Augenkontakt her und berühren Sie den Arm – falls angemessen.